Am Mittwoch schaue ich in mein E-Mailpostfach und entdecke den Newsletter der Zeitschrift „Absatzwirtschaft“, der jeden Mittwoch mit dem Thema „Green Wednesday“ auf meinen PC geflattert kommt. Diese Woche trägt er den pathetischen Titel „Tanz auf dem Vulkan“.
Es geht um ein weiteres Schnippchen, das Jan Böhmermann geschlagen hat, diesmal zu Lasten der Kreuzfahrtindustrie. Überraschung, die großen Touristik-Riesen sind gar nicht so grün, wie sie tun. Green washing at its best.
Was gedanklich bei mir im Kopf geblieben ist, neben der Tatsache, dass die Welt schlecht ist, war das Zitat des Marktforschungsinstitut Rheingold im Zusammenhang damit, wie die deutsche Bevölkerung mit dem Potpourri aus Klimakrise (und der daraus resultierenden Nachhaltigkeitsdiskussion), Corona und Ukrainekrieg umgeht: „Tanz auf dem Vulkan: Diese Umgangsform ist von der unbewussten Angst getrieben, alles was Freude macht, könnte nicht mehr lange möglich sein. Ob die Gaskrise durch den Krieg, Reiseeinschränkungen durch neue Virus-Mutationen oder Flug- und Fleischverbote wegen des Klimawandels – all dies führt zu einem ‚Besser-jetzt-als-nie-mehr‘ Verhalten“.

Mit diesem Zitat in Erinnerung blicke ich auf den Marktforschungsbericht, den das deutsche Weininstitut (die Daten stammen aus dem Haushaltspanel von NielsenIQ) vergangene Woche veröffentlicht hat. Kurz gefasst:
Die Käuferreichweite, also der Anteil der Haushalte, die Wein im 1. Quartal 2022 eingekauft haben, ging auf 37,1 % zurück. Im Vorjahreszeitraum lag diese Kennzahl bei 42,2 %. Der Anteil der weinkaufenden Haushalte war damit in 2022 auch kleiner als vor dem ersten Lockdown.
Auch die Käuferreichweite von deutschem Wein ging gegenüber 2021 von 29,3 % auf 25,4 % zurück. Sie lag damit aber zumindest über dem Vor-Corona-Wert aus 2020.
Positiv ist, dass der mengenmäßige Marktanteil von deutschem Wein mit rund 45 % in etwa auf dem Vorjahresniveau liegt. Nach dem durch den Lockdown bedingten extremen Umsatzwachstum im Vorjahr beläuft sich das Minus in 2022 auf 16,4 Prozent. Die Ausgaben für Wein bewegen sich damit wieder etwa auf dem Niveau des ersten Quartals 2020

Als dritter Anstoß für diesen Artikel möchte ich nun das statistische Landesamt Rheinland-Pfalz einbringen, die ebenfalls in der vergangenen Woche die Berichte „Verbraucherpreise April 22“, „Landwirtschaft & Weinbau“, sowie „Rheinland-Pfalz heute 2022“ veröffentlicht haben. Auch daraus habe ich mir berufsbedingt ein paar Zahlen gepickt:
Im Vergleich mit Deutschland hat die Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz einen höheren Anteil an der Bruttowertschöpfung von 1,4% im Gegensatz zu 0,9% in Deutschland. Der Weinbau hatte 2019 einen Produktionswert von 25,1% in Rheinland-Pfalz, was ein Minus von 5,9% zu 2018 bedeutet.
Richtet man seinen Blick auf die abgerufenen Preise ist die Teuerungsrate in Rheinland-Pfalz im April 2022 erneut gestiegen. Die durchschnittliche Veränderung der Waren und Dienstleistungen (Verbraucherpreisindex) zeigt ein Plus von sieben Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Das bedeutet ein Höchststand seit Beginn der Erfassung 1995. Als Ursache werden die gestörten Lieferketten, immer noch bedingt durch Covid-19, aber auch durch den Ukraine Krieg gesehen. Alkoholische Getränke und Tabakwaren zeigen eine unterdurchschnittliche Teuerung von lediglich 3,3%.
Auf die vergangenen zehn Jahre betrachtet hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Rheinland-Pfalz um rund ein Fünftel verringert. Der Strukturwandel zeigt sich deutlich im Rückgang von kleinen Betrieben und der Zunahme von jenen oberhalb der 200 Hektar (wohlgemerkt auf dem gesamten landwirtschaftlichen Bereich). Dadurch ist die durchschnittliche Betriebsgröße in Rheinland-Pfalz auf 44 Hektar gestiegen (Deutschland: 64,6 Hektar). Im Weinbau liegt die durchschnittliche Betriebsgröße bei 10,2 Hektar, was eine Vergrößerung von 51,8% zu 2010 bedeutet. Ergo: Die kleinen werden immer kleiner und verschwinden, die großen müssen immer größer werden, um zu bestehen. Die Marktmacht der wenigen großen nimmt zu.
Die ökologische Landwirtschaft gewinnt weiter an Bedeutung. Bis 2020 stieg die Zahl der Bio bewirtschafteter Betriebe auf rund 10%. Im Vergleich zu 2010 bedeutet das eine Steigerung von 5,8%.

Somit kann ich die Informationen der vergangenen Tage in kurzen Sätzen zusammenfassen: Die Deutschen haben weniger Geld zur Verfügung, weil Putin seinem bescheuerten Expansionsdrang nachgeht und die Politik zwei Jahre lang versagt hat eine Pandemie einzudämmen.
Wir kurzsichtigen Menschen denken uns also: Schnell nochmal alles genießen bevor ich a. kein Geld mehr dafür habe b. es nicht mehr darf oder c. eine Atombombe alles kaputt gemacht hat.
Aber ups… man hat ja jetzt schon weniger Geld. Der Sprit kostet (trotz „klimafreundlicher“ Steuersenkung) immer noch vier Mark, hätte das Ich-will-Spaß-Markus nur damals gewusst, die Lebensmittelpreise sind bereits jetzt um 16,6% gestiegen und das schlimmste steht uns laut medialer Einstimmigkeit noch bevor. Was machen wir also?
Genau! Wir planen unseren Sommerurlaub für 2022!
Wenn schon die Welt untergeht oder zumindest nie mehr so sein wird, wie sie Mal war, müssen Prioritäten gesetzt werden. Der letzte Plastik-Eimer Sangria am Ballermann muss schließlich zelebriert werden.
Um also den Ryanair-Flug vom Hahn zu finanzieren, wer weiß wann der schließt, muss also gespart werden. Aber wo nur…? Wie wäre es mit dem „liebsten Gemüse des Deutschen“ – ja genau, dem Spargel!
In der deutschen Landwirtschaft ist dank großer Marktmacht von Supermärkten und Discountern (fast) nichts mehr zu verdienen, was einen deutlichen Strukturwandel in den angebauten Feldfrüchten zur Folge hat. Als Landwirt konzentriert man sich auf jene Dinge, die noch ein gewisses Maß an Geld bringen und nicht so einfach von ausländischen Lieferanten unterboten werden können, weil sich zumindest hier ein gewisses Maß an Wertigkeit nationaler Produkte etabliert hat. Ich spreche von Spargeln und Erdbeeren.
Während Getreidepreise und Co. seit Jahren unterirdisch sind, weil uns (bisher) egal war, woher unser Mehl kam und es gut und gerne einmal um die halbe Welt geschifft werden durfte, hatte Spargel und Erdbeeren bisher das Privileg einer gewissen Stabilität. Aber auch die wurde mit 2022 nun gecancelt.
Während wir immer mehr merken, wie abhängig wir vom internationalen Warenwirtschaftsfluss sind, Stichwort mangelnde Schiffscontainer Dank Zero-Covid-Strategie in Shanghai, steigende Weizenpreise dank Bombardement der europäischen Kornkammer Ukraine, entscheiden wir, dass man nun endgültig unsere Landwirtschaft mit Füßen treten kann.
Anstatt, dass wir Abstriche an den richtigen Stellen machen, sorgen wir dafür, dass „Spargelbauern unzufrieden sind“ und mitten in der Saison aufhören Spargel zu stechen (obwohl entgegen aller Trends, die Spargelpreise nicht erhöht wurden) und Erdbeerbauern ihre Ernte direkt auf den Feldern vergammeln lassen müssen. Diese Kurzsicht ist erschreckend und paradox zugleich. Wir schreien nach Mindestlohn, faire Bezahlungen, Rettung des Klimas und sind nicht bereit, das finanziell vor unserer eigenen Haustür zu unterstützen? Wie weit muss es denn noch kommen und wie laut müssen die Alarmglocken schrillen, bis wir als Konsumenten merken, wie groß unsere Marktmacht ist und wie wichtig bewusster Konsum ist?
Deshalb nochmal mein Plädoyer:
Support your local dealer! Support small businesses! Ohne Konsum im Jetzt gibt es in Zukunft weniger Bauern, die Spargel und Erdbeeren für lukrativ halten und das Risiko eingehen welche anzubauen. Weniger Angebot bedeutet gegebenenfalls höhere Preise in den kommenden Jahren – und dann ist das Gejammer wieder groß. Also lieber jetzt handeln, deutschen Spargel und deutsche Erdbeeren kaufen (schmecken sowieso besser als die spanischen) und unsere Landwirtschaft unterstützen.
Ich denke ihr seht wohin die Reise geht: Selbiges lässt sich auf Wein, Tourismus und alle Sektoren übertragen. Wir müssen endlich von dieser „schneller, billiger, mehr“ Mentalität wegkommen und lernen uns bewusst für Verzicht oder bestimmten Konsum zu entscheiden. Ja, manchmal muss die Mango aus Südamerika sein und Ja, manchmal auch die dämliche Amazon-Bestellung. Aber gerade jetzt sollte man den imaginären Sangria-Eimer in die Ecke kicken, Malle, Malle sein lassen und einfach mal Erdbeeren im Schwimmbad um die Ecke genießen.

Artikel zur Situation der Bauern:
· https://www.rtl.de/cms/spargelbauern-hoeren-mitten-in-der-saison-auf-spargel-zu-stechen-warum-es-sich-nicht-mehr-lohnt-4981629.html
· https://www.welt.de/wirtschaft/article239015913/Die-Leute-sparen-Spargelbauern-sind-unzufrieden-mit-der-Saison.html
· https://www.abendblatt.de/wirtschaft/article235518525/landwirtschaft-hamburg-winsen-norddeutschland-warum-viele-spargelbauern-unzufrieden-sind.html
· https://www1.wdr.de/nachrichten/erdbeeren-vernichten-preis-100.html
· https://www.merkur.de/wirtschaft/landwirte-zerstoeren-erdbeeren-obst-handel-muensterland-bauern-ernte-deutsche-zr-91575738.html
Zwei schöne Beiträge über unsere kurzsichtige Wahrnehmung:
· Das Märchen vom Reiskorn und dem Schachbrett: http://martinroedel.de/25er/maerchen.htm
· Scobel/3Sat: Macht der Intuition: https://www.3sat.de/wissen/scobel/scobel–die-macht-der-intuition-100.html
Quellen:
· Absatzwirtschaft, Tanz auf dem Vulkan: https://www.absatzwirtschaft.de/tanz-auf-dem-vulkan-234612/
· Beitrag ZDF Neo: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-20-mai-2022-100.html
· DWI Mafo-News 2/2022 „Einkäufe privater Haushalte in Deutschland“: https://www.deutscheweine.de/presse/pressemeldungen/details/news/detail/News/inflation-bremst-weineinkaeufe/
· Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz: „Jahresbericht 2022 Landwirtschaft & Weinbau“ 2. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz „Rheinland-Pfalz heute 2022) 3. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz „Verbraucherpreise in Rheinland-Pfalz April 2022“
https://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/kurzinformationen/FB_Landwirtschaft_und_Weinbau_2022.pdf
https://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/kurzinformationen/Rheinland-Pfalz_heute_2022.pdf
https://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/monatshefte/2022/Mai/202205_pre.pdf
· Ich will Spaß (Markus): https://www.youtube.com/watch?v=UW7lB7p0Eow
· Lebensmittelpreise Deutschland: https://www.welt.de/wirtschaft/article239050025/Lebensmittelpreise-Das-Schlimmste-kommt-noch-Studie-warnt-vor-deutlich-steigenden-Preisen.html
· https://edition.cnn.com/videos/business/2022/04/29/shanghai-covid-lockdown-china-economy-lu-stout-vpx.cnnbusiness
